KJA-Praxishilfe-5_SexuelleBildung_Kachel-09

DAS THEMA

In seinem nach der Familiensynode von 2015 verfassten Schreiben »Amoris laetitia« schreibt Papst Franziskus folgendes: »Begierden, Gefühle, Emotionen – das, was die Klassiker ›Leidenschaften‹ nannten – nehmen einen wichtigen Platz in der Ehe ein.« (143) Zudem bemerkt er: »Die Momente der Freude, der Erholung oder des Festes und auch die Sexualität werden als eine Teilhabe an der Fülle des Lebens in seiner (Christi) Auferstehung erlebt.« (317)

Die katholische Kirche sieht eine unlösbare Verbindung zwischen Sexualität und Ehe. Das schließt einen sehr hohen Anspruch ein, denn mit dem katholischen Ehebegriff sind gleich vier Eigenschaften unlösbar verbunden: Treue, Unauflöslichkeit, Wohlwollen und die Offenheit für Nachkommenschaft. Sie gehören fest zur Ehe.

Kritiker dieser klassischen Sexualmoral setzen anstelle dieser formalen Bedingungen eher inhaltliche Ansprüche. So schreibt z.B. Eberhard Schockenhoff (römisch-katholischer Priester und deutscher Moraltheologe): »Beziehungsformen, in denen Werte wie Liebe, Freundschaft, Verlässlichkeit, Treue, gegenseitiges Füreinander Einstehen und Solidarität gelebt werden, verdienen in moralischer Hinsicht Anerkennung und Respekt, unabhängig davon, unter dem Vorzeichen welcher sexuellen Orientierung sie gelebt werden.«

Die Wissenschaft geht von drei zentralen Annahmen über Sexualität aus:

  1. Sexualität ist eine natürliche Kraft,
  2. Sexualität ist eine biologische Disposition, die gesellschaftlich geformt ist und damit ein Lernprodukt,
  3. Sexualität ist ein ideelles Konstrukt, ein Diskursprodukt.
    (vgl. Christiane Schmerl, Stefanie Soine, Marlene Stein-Hilbers, Birgitta Wrede 2000)

Deswegen sollten auch Gesellschaft, Glaube, Ideologie, Kultur etc. in den Blick genommen werden. Es geht nicht ohne die Einbindung in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext.

Kardinal Reinhard Marx formulierte in der Abschluss-Pressekonferenz der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2019 in Lingen diese Analyse, die zugleich die Notwendigkeit verdeutlicht, sich aktiv dem Feld zuzuwenden: »Die Sexualmoral der Kirche hat entscheidende Erkenntnisse aus Theologie und Humanwissenschaften noch nicht rezipiert. Die personale Bedeutung der Sexualität findet keine hinreichende Beachtung. Das Resultat: Die Moralverkündigung gibt der überwiegenden Mehrheit der Getauften keine Orientierung. Sie fristet ein Nischendasein. Wir spüren, wie oft wir nicht sprachfähig sind in den Fragen an das heutige Sexualverhalten.«

Wir können an dieser Stelle den für viele (junge) Menschen erlebten Konflikt zwischen kirchlicher Lehrmeinung und dem eigenen Leben oder der eigenen Haltung gegenüber nicht auflösen.

Es ist jedoch Auftrag und Anliegen der sexuellen Bildung, den Menschen Hilfen zu geben, damit ihr Dasein als sexuell geprägtes Wesen gelingt. Dazu gehört, dass Werte wie Zuneigung, Anerkennung, Wertschätzung, Würde, Annahme, Fürsorge, Verlässlichkeit, Vertrauen, Trost und ähnliches kommuniziert werden.

PÄDAGOGISCHER AUFTRAG

Religiöse Bildung in Bezug auf Sexualität zielt auf ein Lernen in einem ganzheitlichen Sinne mit Kopf, Herz und Hand ab.

Es geht insbesondere um soziales Lernen und das partnerschaftliche dialogische Miteinander. Und es geht um den Anspruch der Frohbotschaft an junge Menschen mit dem ethisch-religiösen Dreiklang: Nächstenliebe, Gottesliebe und Selbstliebe. (Stephan Leimguber, sexualpädagogische Impulse für die kirchliche Jugendarbeit).

Auftrag und Ziel sollte es sein, dass das Verständnis von Macht und Sexualität in ein gesundes Mindset einzubetten. Kinder und Jugendliche zu befähigen, diese Aspekte (Macht und Sexualität) kompetent zu betrachten und sie sprachfähig gegen missbräuchlichen Umgang zu machen. Dies ist eines der Ziele, welches zur Prävention von sexualisierter Gewalt beitragen kann. Hierzu gehört explizit auch die Wissensvermittlung, wie auch die Vermittlung einer Haltung, die besonders durch Vorleben gefestigt werden kann.

Prävention durch Wissen und kompetenten Umgang

Die Ursachen für Übergriffe und sexualisierte Gewaltausübung lassen sich mit drei Faktoren zusammenfassen:

  • eine ungesunde psychische Verfassung,
  • ungesunde Vorstellungen von Macht und Sexualität sowie eine
  • ungesunde Umgebung oder Gemeinschaft, in der eine Person lebt. (vgl. Ranson 2002).

WAS DER KIRCHE WICHTIG IST

Theologie als das Sprechen von Gott ist immer auch das Sprechen von Liebe. Muss es verstummen, wenn von Sexualität die Rede ist?

Die Religion, welche die Liebe in ihrer umfassenden Form verkündet, sollte auch die Sexualität in ihrer Vielfalt als Ausdruck gottgewollten menschlichen Daseins annehmen. Die Herausforderung einer »Theologie der Sexualität« ist, den menschlichen Umgang mit Sexualität auf IHN (Jesus), der die Liebe ist, zu beziehen. (vgl. Georg Denzler 2013)

So sehr es auch in den »sozialen« Medien immer mehr um die Darstellung, die Thematisierung von sexuellen Handlungen, der eigenen Sexualität oder die Sexualität Dritter (z.B. prominenter Persönlichkeiten) geht, ist dies nicht mit der kirchlichen Wertevorstellung vereinbar.

Das Vergötzen der Sexualität und die oft dargestellte sexuelle Schamlosigkeit ist eine oberflächliche Darstellungsform, die den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen nicht gerecht wird. Sie befinden sich in einer Phase der Identitätsfindung, der Selbstzweifel und der Selbstwirksamkeit, und müssen sich mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und Rollen auseinandersetzen. Daraus ergeben sich folgende Fragen, mit denen sich Jugendlichen konfrontiert sehen:

Ist Geschlecht das Ergebnis von kulturellen Diskursen? Ist es etwas, das wir haben oder etwas, »das wir tun«? Diese Fragen beziehen sich nicht nur auf die Frage eines Geschlechtsorgans, sondern sie zielen auf das spirituelle Wesen ab, das sich nach Antworten und seelischem Frieden sehnt. Die Antworten (bzw. deren Herleitung) auf diese brisanten Fragen, sollten also die Liebe Gottes an uns Menschen beinhalten, der die Jugendlichen bedingungslos liebt und begleitet.

Prof. Dr. Konrad Hilpert, Lehrstuhl für Moraltheologie LMU München, formulierte den Anspruch der Sexualethik wie folgt: »Im Hinblick auf das Verhalten der Einzelnen sind für die Praxis der Sexualität folgende Orientierungen zentral:

  • Achtsamkeit für den Partner in seiner menschlichen Ganzheit;
  • Behutsamkeit: Sie benennt die Grundhaltung, dass die Erwartungen an das eigene Wohlgefühl auf den anderen abgestimmt werden müssen;
  • Integrierung: Nur unter Partnern, die einander als Personen annehmen und achten und nicht bloß als Inbegriff des geschlechtlich Begehrten, kann menschliche Nähe, Überwindung des Alleinseins, Ergänzung und Freundschaft ausgedrückt werden und gelingen;
  • Personalisierung: Sexuelle Handlungen und Zeichen gelingen nur in einem Rahmen, den man durch das Stichwort »kommunikative Beziehung« charakterisieren kann. Eine solche fehlt, wo Menschen benutzt und ausgebeutet werden. Das ist bei allen Formen des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen der Fall;
  • Wahrhaftigkeit: Wenn die Sexualität eine Art von Sprache ist, muss für sie auch die Grundanforderung gelten, die für alles Sprechen gilt, nämlich Wahrhaftigkeit;
  • Kultivierung: Es braucht auch eine Kultivierung der Ausdrucksmöglichkeiten der Sexualität. Sie wird banal, wenn sie auf den Geschlechtsakt und auf die Befriedigung des Triebs reduziert wird.« (vgl. Erneuerte Sexualethik in Kirche und Caritas)

Die Herausforderung in der pädagogischen Arbeit liegt darin, die Werte zu kennen, sie vermitteln zu können, über Werte sprechen zu können und anzuregen, das »Wertvolle« dahinter zu deuten.

Für die Aufgabe der sexuellen Bildung als Teil der religionspädagogischen Arbeit kann der Ansatz einer religionssensiblen Erziehung hilfreich sein: »Religionssensibilität meint zunächst eine Grundhaltung der Achtsamkeit, Feinfühligkeit, Behutsamkeit und des Respekts gegenüber dem – intimen wie öffentlichen – Phänomen der Religion: ihren Gefährdungen ebenso wie ihren Schätzen. Der Begriff will Erzieher/innen zu einer Offenheit und Interessiertheit für die (oft sublime) Präsenz des Religiösen im eigenen Leben, im Leben ihrer Klientel sowie in der Gesellschaft herausfordern. Und religionssensible Erziehung wäre dann als eine Erziehungspraxis zu begreifen, die sensibel und respektvoll die religiösen Biografien, Bedürfnisse und Artikulationen von Kindern und Jugendlichen wahrnimmt und ihnen in pädagogischer Absicht gerecht zu werden versucht.« (Lechner, Martin/Gabriel, Angelika: Religionssensible
Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe«, 2005–2008).

Ein junger Mensch hat ein Recht darauf, dass die professionelle Begleitung seiner Entwicklung seine religiöse Biografie berücksichtigt. Ebenso muss die religiöse Identität der Einrichtung bzw. des Trägers berücksichtigt werden und ihre Werte und Konventionen vermittelt werden. Das Ziel von Erziehung ist Befähigung junger Menschen zur eigenen Lebensführung. Die Inhalte sexueller Bildung sind einem solchen ganzheitlichen Konzept der Kinder- und Jugendarbeit dienlich: Der Blick auf Sexualität als etwas Ganzheitliches knüpft an das christliche Bild der Sexualität als eine Verbindung zwischen Körper, Seele und Geist an. Den Mittelpunkt
dabei bildet der Mensch als Abbild Gottes mit seiner unauflöslichen Würde. Junge Menschen wünschen sich ein positives Leben und suchen nach Antworten auf die Fragen, wie ihr Leben, wie Freundschaften und wie ein sinnerfülltes Leben stattfinden kann. Der Auftrag kirchlicher Jugendarbeit, hierfür Kompetenzen zur persönlichen Lebensgestaltung und Identitätsbildung an junge Menschen zu vermitteln, beinhaltet Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und Selbstvertrauen. Die gleichen Herausforderungen für junge Menschen ergeben sich für die Entwicklung ihrer sexuellen Identität. Damit verbindet kirchliche Jugendarbeit beide Bildungsprozesse
miteinander – den religionssensiblen und sexuellen.

Der Kirche ist es wichtig, dass die christliche Werte, Haltungen und Normen stets in der Vermittlung von sexueller Bildung abgebildet und integriert sind.

FÜR DIE PRAXIS

Stephan Leimgruber empfiehlt kirchlichen Einrichtungen die Entwicklung von Leitlinien für die Vermittlung von Werten und Haltungen als Standards der pädagogischen Arbeit sexueller Bildung.

  • Angebote für gute Erlebnis- und Beziehungsarbeit sind der Mittelpunkt.
  • Das Training des angemessenen dialogischen Umgangs mit Jugendlichen ist eine Daueraufgabe.
  • Verhaltenskodizes vermitteln und kultivieren Sensibilität, Werte und Mitmenschlichkeit.
  • Weiterbildung zu Themen und Aufgaben sexueller Bildung sind Grundlagen beruflicher Entwicklung und professionellen Handelns von Mitarbeitenden.
  • Schutz und Prävention sind Bausteine für Vertrauen, Achtsamkeit und Zuversicht für die Vermittlung der Menschwerdung Jesu im Leben junger Menschen.

Jeder pädagogisch professionell arbeitende Mensch steht in der Verantwortung, mit der eigenen Sexualität und Körperlichkeit in pädagogischen Beziehungen verantwortlich umzugehen. Dieser Umgang ist erlernbar. Grenzen zu setzen und Entfaltungsräume zu gestalten braucht die Fähigkeit und das Bewusstsein, mit der eigenen Körperlichkeit und Sexualität achtsam und respektvoll umzugehen.

Sexuelle Bildung bietet wertvolle Chancen, damit junge Menschen ihre Körperlichkeit und Sexualität positiv, achtsam und selbstbestimmt entwickeln lernen. Entwicklungsangemessene Angebote zur sexuellen Bildung, die das Thema sexualisierte Gewalt verbindlich einschließen, sind ein zentraler Aspekt des Erziehungskonzeptes der Einrichtung und ihrer alltäglichen Praxis.

Kontakt & Info

Oliver Karcz

Oliver Karcz

Referent für jugendpastorale Großveranstaltungen und spirituelle Veranstaltungen in Jugendbildungsstätten |
Kinder- und Jugendschutz