KJA-Praxishilfe-5_SexuelleBildung_Kachel-04

Der Mensch ist ein sexuelles Wesen. Aber was ist Sexualität? Wie erleben Kinder und Jugendliche Sexualität?

DAS THEMA

Der Mensch ist ein sexuelles Wesen von Anfang an. Bereits im Mutterleib beeinflussen Gefühlsempfindungen, etwa die Angst oderauch die Freude der Mutter am eigenen Körper das ungeborene Kind. Die Genitalien sind schon vor der Geburt ausgebildet und Teil unseres sexuellen Körpers. Mit der Geburt erfolgen die eigenen Körpererfahrungen und die Entwicklung der Psychosexualität beginnt. Sexualität kann somit nicht ohne Körper funktionieren. Sie speist sich aus den unterschiedlichsten Quellen, auch nicht sexuellen, aus jeglichen Wünschen und Sehnsüchten. Ihre Ausdrucksformen erstrecken sich von Zärtlichkeit sich über Erotik bis hin zu Gewalt; eine breite Palette, die sowohl positive als auch negative Ausdrucksformen kennt.

Sexualität erfüllt verschiedene Funktionen. Sie dient vorrangig natürlich der Fortpflanzung, hat aber zudem eine sinnstiftende Bedeutung für zwischenmenschliche Beziehungen. Darüber hinaus beeinflusst sie einen großen Teil unserer Identität. Geprägt wird unsere Sexualität von subjektiven Erfahrungen, die ab dem Zeitpunkt der Geburt gemacht werden.

Gunther Schmidt spricht von vier Erfahrungsbereichen: Körper-, Bedürfnis-, Beziehungs- und Geschlechtsgeschichte. »Sexuelle Entwicklung und sexuelle Sozialisation vollziehen sich weitgehend und in erster Linie in nicht-sexuellen Bereichen, also durch Erlebnisse und Erfahrungen, die im eigentlichen oder engeren Sinne nicht sexuelle sind.« (Schmidt/Sielert [Hrsg.]: Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung, Weinheim 2013, S. 123).

Die benannten vier Erfahrungsbereiche beeinflussen unsere Entwicklung, insbesondere in unserer Persönlichkeit hinsichtlich
Sexualität und Charakter. Daraus ergeben sich vier Sinndimensionen der Sexualität: Lust, Beziehung, Fruchtbarkeit und Identität.
Alle vier Dimensionen haben eine andere Gewichtung in den Lebensphasen des Menschen. Werden Kindheit und Jugendphase als
eigenständige Lebensphase betrachtet, sind in der Kindheit die Sinndimensionen Lust und Identität von hauptsächlicher Bedeutung.
In der Jugendphase wird der Sinn der Beziehung bedeutender. Fruchtbarkeit ist zwar ab dem Jugendalter ein relevantes Thema, da
sie sich in dieser Zeit entwickelt, jedoch wird Fruchtbarkeit als Sinndimension der Sexualität in der Regel erst in späteren Lebensphasen bedeutend.

PÄDAGOGISCHER AUFTRAG

Mit diesem Wissen im Hinterkopf muss der Erwachsene sein Verhalten entsprechend anpassen: Die Begleitung der sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen muss je nach Lebensphase unterschiedlich gestaltet sein: »Während es im Grundschulalter vor allem darum geht, den Körper und damit verbundene Gefühle zu entdecken sowie eine angemessene
Sprache und grundlegendes Wissen über Sexualität zu vermitteln, stehen vor und in der Pubertät körperlich und seelische Veränderungen sowie Einordnung und das Verstehen bestimmter Verhaltensweisen und Praktiken im Vordergrund.« (Timmenmann u/ Tuider, 2008, S.20).

» Bei Kindern ab 6 Jahren

In der Grundschulzeit setzen sich junge Kinder zwar weiterhin in Rollenspielen mit den geschlechtlichen Unterschieden und den Konzepten Freundschaft und Liebe auseinander, doch die Neugier und der Wunsch, mehr über Sexualität zu erfahren, wächst. Insgesamt wird in diesem Alter die Kommunikation über Sexualität für uns Erwachsene unsichtbarer, da das Bedürfnis nach Intimität und Selbstbestimmung zunehmen. (vgl. Wanzeck-Sielert in Schmidt/Sielert, 2013, S. 360).

» Mit dem Wechsel auf die weiterführende Schule

Ab dem 10. Lebensjahr werden die Themen Geschlechtsunterschiede und Geschlechtsidentität zunehmend bedeutender. Die Inszenierung der Geschlechter wird eingeübt, aber auch korrigiert oder verworfen und dann wieder eingeübt. Die Auseinandersetzung mit weiblichen und männlichen Attributen sowie Körperbildern sind Alltag. Heterosexualität wird als Normativ wahrgenommen, und auch die Zweigeschlechtigkeit findet sich in der Sozialisation deutlich wieder (vgl. Wanzeck-Sielert in Schmidt/Sielert, 2013, S. 361). Kinder in dieser Altersspanne schlüpfen in vielfältige Rollen. Hetero- oder Homosexualität sind dabei nicht bedeutsam.

» In der Pubertät

In der Jugendphase entwickelt der Körper sich weiter und erwachsene Geschlechtsmerkmale bilden sich aus. Neben der Auseinandersetzung mit körperlichen Veränderungen ist in der Jugendphase seelische bzw. psychische Arbeit an der eigenen Identität zu leisten. Fragen wie »Wer bin ich?«, »Was macht mich aus?«, gehen mit Fragen der sexuellen Identität einher. Die primären und sekundären Geschlechtsorgane sind maßgeblich Lustquellen, und es bildet sich eine genitale Fixierung heraus. Sexualität wird vorrangig als der Weg gesehen, um zum sexuellen Höhepunkt zu kommen. Insbesondere die Geschlechtsidentität sowie die sexuelle
Orientierung spielen eine große Rolle. Dazu zählt die Auseinandersetzung mit den biologischen und sozialen Geschlechtern, Geschlechterrollen oder Geschlechterattributen. Die Jugendphase ist die Zeit der »ersten Male«: zum ersten Mal ohne die Eltern verreisen, sich verlieben, Eifersucht verspüren, die ersten Liebesbriefe schreiben oder Liebeskummer durchleiden. Nicht zuletzt verstehen wir unter »dem ersten Mal« den ersten Geschlechtsverkehr. Das Interesse bei Jugendlichen ist in dieser Zeit groß, in Beziehung zu einer anderen Person anderen Sexualität auszuprobieren. Jedoch sind diese ersten sexuellen Erfahrungen nicht gleich
Geschlechtsverkehr (vgl. Schmidt/Sielert, 2013, 86).

FÜR DIE PRAXIS

Wie verhalte ich mich pädagogisch richtig? Pädagogen/innen sind wichtige Wegbegleiter/innen der Kinder und Jugendlichen. Auch im
Bereich der Entwicklung der Psychosexualität ist daher die Begleitung und Unterstützung notwendig. »Denn Sexualität entwickelt sich eben nicht von selbst.« (vgl. Schmidt/Sielert, 2013, 11). Dazu braucht es das Anerkennen und Ernstnehmen der sexuellen Entwicklungsphasen. Die Auseinandersetzung mit der psychosexuellen Entwicklung des Menschen von Geburt bis hin zur Jugendphase ist von großer Bedeutung für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Was kann ich bewirken? Eine verständnisvolle pädagogische Aufmerksamkeit ermöglicht eine Haltung zu kindlicher Sexualität sowie Jugendsexualität. Die Deutsche Bischofskonferenz stellt die Würde der menschlichen Sexualität als einen Bereich des menschlichen Lebens in der Rahmenordnung der Prävention mit einem Zitat von Papst Franziskus dar: »Gott selbst hat die Geschlechtlichkeit
erschaffen, die ein wunderbares Geschenk für seine Geschöpfe ist.« (Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Amoris laetitia vom 19. März 2016, Nr. 150). Daraus ergibt sich der Auftrag: »In allen pädagogischen Einrichtungen soll eine Sexualpädagogik vermittelt werden, die Selbstbestimmung und Selbstschutz stärkt.« (Rahmenordnung DBK, 2019, Seite 1)

Kontakt & Info

Oliver Karcz

Oliver Karcz

Referent für jugendpastorale Großveranstaltungen und spirituelle Veranstaltungen in Jugendbildungsstätten |
Kinder- und Jugendschutz